Was ist das Ziel dieses Kriteriums?
Genau so geht es vielen gehörlosen und schwerhörigen Menschen, für die Gebärdensprache die Muttersprache ist. Untertitel sind oft nur ein Kompromiss – wie eine maschinelle Übersetzung, die zwar den groben Inhalt wiedergibt, aber die Seele der Sprache verliert.
Das Ziel von Erfolgskriterium 1.2.6 ist es deshalb, Videos mit der reichhaltigsten Form der visuellen Kommunikation zu ergänzen: echter Gebärdensprachdolmetschung. Damit werden Inhalte nicht nur zugänglich, sondern bekommen ihre volle emotionale und sprachliche Tiefe zurück.
Was fordert das Erfolgskriterium genau?
Ganz konkret verlangt dieses AAA-Level-Kriterium der WCAG 2.2, dass alle vorab aufgezeichneten Videos mit Audio-Inhalten zusätzlich eine professionelle Gebärdensprachdolmetschung erhalten.
Das bedeutet:
Vollständige Dolmetschung aller Audio-Inhalte: Nicht nur gesprochene Worte, sondern auch relevante Geräusche, Musik und emotionale Nuancen werden in Gebärdensprache übertragen.
Synchronisation: Die Dolmetschung läuft zeitgleich mit dem ursprünglichen Audio-Inhalt – keine Verzögerung, kein Nachhängen.
Visuelle Integration: Der Gebärdensprachdolmetscher ist entweder direkt im Video sichtbar (z.B. in einer Ecke) oder als separater, synchronisierter Video-Stream verfügbar.
Professionelle Qualität: Es geht nicht um automatisch generierte Avatar-Dolmetschung oder Fingeralphabet, sondern um echte, muttersprachliche Gebärdensprachkompetenz.
Da es sich um Level AAA handelt, ist dieses Kriterium nicht verpflichtend – aber es stellt den Goldstandard für wirklich inklusive Medieninhalte dar.
Warum ist das wichtig für Barrierefreiheit?
Stell dir vor, du kennst zwei Sprachen – aber eine davon ist deine Muttersprache, in der du träumst, denkst und fühlst. Die andere hast du später gelernt und verstehst sie zwar, aber sie fühlt sich immer etwas fremd an. So geht es vielen Menschen, für die Gebärdensprache die erste Sprache ist.
Gebärdensprachdolmetschung schafft echte Barrierefreiheit, weil sie:
Emotionale Kommunikation ermöglicht: Gebärdensprache transportiert Gefühle, Ironie, Begeisterung und Nuancen, die in Untertiteln völlig verloren gehen.
Natürliche Sprachgeschwindigkeit bietet: Viele Gebärdensprachnutzer sind deutlich schneller im Verstehen ihrer Muttersprache als beim Lesen von Untertiteln.
Komplexe Inhalte verständlicher macht: Fachbegriffe, Metaphern und abstrakte Konzepte lassen sich in Gebärdensprache oft präziser und verständlicher erklären.
Menschen mit Leseschwierigkeiten hilft: Nicht alle gehörlosen Menschen haben die gleichen Lesefähigkeiten – Gebärdensprache ist für sie oft der direkteste Weg zu Informationen.
Inklusive Erlebnisse schafft: Videos mit Gebärdensprachdolmetschung zeigen, dass alle Menschen willkommen sind und ihre bevorzugte Kommunikationsform respektiert wird.
So setzt du das Kriterium erfolgreich um
Die gute Nachricht: Technisch ist Gebärdensprachdolmetschung heute einfacher umsetzbar als je zuvor. Die größte Herausforderung liegt in der Planung und Koordination. Hier deine Roadmap zum Erfolg:
Professionelle Dolmetscher finden:
- Arbeite mit zertifizierten Gebärdensprachdolmetschern zusammen – keine Laien oder Lernende.
- Achte auf die richtige Gebärdensprache für deine Zielgruppe (ASL, DGS, BSL etc.).
- Buche Dolmetscher, die Erfahrung mit deinem Fachbereich haben – Technik, Medizin und Recht haben ihre eigenen „Vokabeln“.
Technische Umsetzung:
- Picture-in-Picture: Der Dolmetscher erscheint in einer Ecke des Videos – meist unten rechts oder links.
- Separater Stream: Biete eine Version mit großformatigem Dolmetscher an, den Nutzer je nach Bedarf wählen können.
- Responsive Integration: Sorge dafür, dass der Dolmetscher auch auf mobilen Geräten gut sichtbar ist.
Qualitätskriterien beachten:
- Sichtbarkeit: Der Dolmetscher muss klar erkennbar sein – gute Beleuchtung, Kontrast zum Hintergrund, ausreichende Größe.
- Gebärdenraum: Plane genug Platz für die natürlichen Arm- und Handbewegungen ein – etwa von der Taille bis über den Kopf.
- Synchronität: Die Dolmetschung muss exakt mit dem gesprochenen Inhalt übereinstimmen.
Workflow-Tipp: Am einfachsten ist es, die Dolmetschung bereits bei der Videoproduktion mitzuplanen. Nachträgliche Integration ist möglich, aber aufwendiger.
Warum dieses Erfolgskriterium für Unternehmen relevant ist
Level AAA mag optional klingen – aber gerade bei Gebärdensprache zeigt sich: Was für manche Menschen überlebensnotwendig ist, bringt allen einen Mehrwert. Hier drei überzeugende Business-Argumente:
1. Exklusive Zielgruppe erschließen
Weltweit nutzen Millionen Menschen Gebärdensprache als Hauptkommunikationsmittel. Diese Community ist oft sehr loyal gegenüber Unternehmen, die ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Ein Video mit Gebärdensprachdolmetschung signalisiert: „Wir sehen euch, wir respektieren eure Sprache.“ Das schafft nicht nur Kunden, sondern Botschafter.
2. Premium-Markenimage aufbauen
Gebärdensprachdolmetschung ist ein klares Zeichen für Qualität und Inklusion. Sie zeigt, dass ein Unternehmen bereit ist, den extra Schritt zu gehen – das stärkt das Markenimage weit über die gehörlose Community hinaus. Besonders in B2B-Bereichen kann das ein entscheidender Differenzierungsfaktor sein.
3. Rechtssicherheit und Förderchancen maximieren
Auch wenn Level AAA nicht verpflichtend ist: Viele öffentliche Auftraggeber bewerten Barrierefreiheit über das gesetzliche Minimum hinaus positiv. Unternehmen, die bereits AAA-Standards erfüllen, haben klare Vorteile bei Ausschreibungen und können oft zusätzliche Fördergelder für inklusive Projekte abrufen.
Und nicht zuletzt: Gebärdensprachdolmetschung ist eine Investition in die Zukunft. Die Sensibilität für Barrierefreiheit wächst – wer heute schon AAA-Standards erfüllt, ist perfekt vorbereitet auf kommende Anforderungen.
Das Erfolgskriterium im Wortlaut der W3
Success Criterion 1.2.6 Sign Language (Prerecorded)
(Level AAA)Sign language interpretation is provided for all prerecorded audio content in synchronized media.