Das Barriere­freiheits­stärkungs­gesetz

Ab dem 28. Juni 2025 gilt: Viele digitale Produkte und Dienstleistungen müssen barrierefrei sein. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz setzt damit die EU-Richtlinie zur digitalen Inklusion in deutsches Recht um.

Digitale Barrierefreiheit wird Pflicht!

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bringt klare Regeln, wer digitale Angebote zugänglich gestalten muss – und orientiert sich dabei an den internationalen WCAG-Standards. Erfahre hier, was das für dich bedeutet.

Historie: Der Weg zum Barriere­freiheits­stärkungs­gesetz

Barrierefreiheit ist in Deutschland seit vielen Jahren gesetzlich verankert – allerdings bislang vor allem im öffentlichen Sektor. Bereits seit 2002 gilt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG), das u. a. festlegt, dass Websites und digitale Angebote von Behörden barrierefrei zugänglich sein müssen. Dieses Gesetz wurde mehrfach überarbeitet und zuletzt durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) konkretisiert. Öffentliche Stellen – etwa Ministerien, Rathäuser oder Universitäten – sind dadurch bereits verpflichtet, ihre digitalen Angebote nach dem WCAG-Standard barrierefrei umzusetzen.

Doch der private Sektor war lange außen vor.

Das änderte sich mit dem European Accessibility Act (EAA), einer EU-Richtlinie, die 2019 verabschiedet wurde. Sie verpflichtet die Mitgliedsstaaten, bestimmte Dienstleistungen und Produkte auch im privaten Bereich barrierefrei zu gestalten. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigten Zugang zu modernen Technologien und digitalen Angeboten zu ermöglichen – unabhängig davon, ob diese von staatlichen oder privaten Anbietern stammen.

Deutschland hat diese EU-Richtlinie mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in nationales Recht überführt. Das Gesetz wurde 2021 verabschiedet und tritt am 28. Juni 2025 in weiten Teilen in Kraft. Es verpflichtet viele private Unternehmen dazu, ihre digitalen Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit körperlichen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen nutzbar sind.

Mit dem BFSG wird Barrierefreiheit also erstmals auch für viele privatwirtschaftliche Anbieter verpflichtend – ein Meilenstein auf dem Weg zu einer inklusiven, digitalen Gesellschaft.

Die WCAG

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definieren, wie digitale Inhalte barrierefrei gestaltet werden sollen. Sie bilden den internationalen Standard für barrierefreie Webseiten und Apps – und sind auch Grundlage des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes.

Ziel: Inhalte sollen für alle Menschen verständlich, bedienbar und zugänglich sein: Unabhängig von Einschränkungen oder genutzten Hilfsmitteln.

Was regelt das Barriere­freiheits­stärkungs­gesetz konkret?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet Unternehmen, bestimmte Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten – sowohl in der physischen als auch in der digitalen Welt. Der Fokus liegt dabei auf Angeboten, die für den Alltag vieler Menschen von zentraler Bedeutung sind.

Dazu zählen zum Beispiel:

  • Webseiten und mobile Apps von Unternehmen
  • Automatisierte Terminals, etwa Geldautomaten, Ticketautomaten oder Check-in-Systeme
  • E-Commerce-Angebote, also der gesamte digitale Verkaufsprozess: vom Produktsuchen über den Bestellvorgang bis zum Kundenservice
  • E-Books und Lesegeräte
  • Bank- und Zahlungsdienste, wie Online-Banking oder Überweisungsterminals
  • Telekommunikationsdienste, etwa Anbieter von Telefon, Internet oder Fernsehen

Das Gesetz gibt keine vollkommen neuen technischen Standards vor, sondern verweist für digitale Inhalte auf etablierte Normen, insbesondere die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Die Anforderungen an barrierefreie Gestaltung ergeben sich also direkt aus diesen Richtlinien.

Wichtig: Das Gesetz verpflichtet nicht nur zur Umsetzung, sondern auch zur nachweisbaren Einhaltung der Anforderungen. Es sieht Marktüberwachung, Prüfpflichten und Beschwerdemöglichkeiten vor – Unternehmen müssen also aktiv belegen können, dass sie barrierefreie Angebote bereitstellen.

Barrierefreiheit im digitalen Raum: WCAG 2.2 als technischer Standard

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz macht keine detaillierten Vorgaben zu Farben, Schriftgrößen oder Codezeilen – stattdessen verweist es auf internationale Standards. Die wichtigste Grundlage ist die Richtlinie der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – genauer gesagt die aktuelle Version WCAG 2.2.

Diese Richtlinien wurden vom World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt und definieren, wie Websites, Apps und andere digitale Inhalte gestaltet sein müssen, damit sie für alle Menschen nutzbar sind – unabhängig von Behinderung, Einschränkung oder technischer Hilfsmittel.

Die WCAG 2.2 basiert auf vier Grundprinzipien:

  • Wahrnehmbarkeit:
    Inhalte müssen auf verschiedene Arten erfasst werden können – zum Beispiel durch Textalternativen für Bilder oder ausreichend Kontraste.
  • Bedienbarkeit:
    Navigation und Interaktion müssen auch per Tastatur, Screenreader oder anderen Eingabehilfen möglich sein.
  • Verständlichkeit:
    Inhalte und Bedienstrukturen sollen klar, konsistent und intuitiv sein – etwa durch einfache Sprache, klare Strukturen oder nachvollziehbare Formulare.
  • Robustheit:
    Der Code muss so aufgebaut sein, dass er zuverlässig mit aktuellen und zukünftigen Hilfstechnologien funktioniert (z. B. Screenreader-Kompatibilität, semantisches HTML).

Für die Umsetzung gilt der sogenannte Konformitätslevel AA als gesetzlicher Mindeststandard. Das bedeutet: Nicht jede Anforderung der WCAG 2.2 muss erfüllt werden, aber alle Kriterien auf Level A und AA müssen umgesetzt sein. Die strengere Stufe AAA ist nicht verpflichtend – kann aber als Zielbild für besonders vorbildliche digitale Angebote gelten.

Die WCAG sind damit nicht nur technischer Leitfaden, sondern gesetzliche Grundlage: Wer barrierefreie digitale Angebote gestalten will (oder muss), kommt an ihnen nicht vorbei.

Für wen gilt das Gesetz? Und für wen nicht?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) richtet sich nicht an alle Unternehmen gleichermaßen – sondern gezielt an jene, die bestimmte Produkte oder Dienstleistungen bereitstellen, die für den digitalen Alltag von zentraler Bedeutung sind.

Pflicht zur Barrierefreiheit besteht ab dem 28. Juni 2025 für:

  • Unternehmen, die digitale Dienstleistungen anbieten – z. B. Online-Shops, E-Book-Verlage, Telekommunikationsanbieter oder Banken
  • Hersteller und Anbieter von Selbstbedienungsterminals wie Fahrkarten- oder Geldautomaten
  • Software-Anbieter, deren Anwendungen unter die gesetzlich definierten Produktgruppen fallen
  • Online-Dienstleister, deren Angebote von Endverbraucher:innen genutzt werden (z. B. Reisebuchungen, Zahlungsdienste, Kundensupport)

 

Dabei spielt es keine Rolle, ob das Unternehmen vor Ort oder nur online agiert – entscheidend ist der Zugang zu digitalen Produkten und Diensten.

Ausnahmen vom BFSG

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sieht in bestimmten Fällen Ausnahmen und Übergangsregelungen vor, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen sollen. Diese betreffen insbesondere Kleinstunternehmen, bestehende Produkte und technisch besonders aufwendige Umstellungen.

 

Bestandsprodukte und verlängerte Fristen

Eine zentrale Ausnahme betrifft Bestandsprodukte, also Produkte, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes am 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht wurden. Diese unterliegen nicht rückwirkend den neuen Anforderungen und dürfen grundsätzlich weiterhin angeboten und genutzt werden, ohne dass nachträgliche Anpassungen erforderlich sind.

Für bestimmte Gerätegruppen gelten zudem explizite Übergangsfristen: Bestehende Selbstbedienungsterminals, wie Bankautomaten oder Fahrkartenautomaten, müssen erst bis zum 28. Juni 2030 den Anforderungen des BFSG entsprechen. Die verlängerte Frist soll sicherstellen, dass technisch aufwendige oder kostenintensive Umrüstungen nicht kurzfristig umgesetzt werden müssen und wirtschaftlich tragbar bleiben.

 

Unverhältnismäßiger Aufwand (Härtefallregelung)

Unternehmen können geltend machen, dass die Umsetzung der Barrierefreiheitsanforderungen im konkreten Einzelfall unzumutbar ist – etwa wenn der Aufwand technisch oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist. Dies kann z. B. auf Spezialprodukte mit geringer Stückzahl oder schwer integrierbare Technologien zutreffen.

Aber: Die Anforderungen an eine solche Ausnahme sind hoch. Die Gründe müssen transparent dokumentiert und mit objektiven Nachweisen belegt werden. Eine Einzelfallprüfung durch die zuständige Marktüberwachungsbehörde entscheidet, ob die Argumentation ausreichend ist. Die Ausnahme darf den Schutzzweck des Gesetzes nicht unterlaufen – sie ist eng auszulegen.

 

Kleinstunternehmen im Dienstleistungsbereich

Laut § 3 Abs. 3 BFSG sind Kleinstunternehmen mit

  • weniger als zehn Beschäftigten und
  • maximal zwei Millionen Euro Jahresumsatz

von der Barrierefreiheitspflicht ausgenommen, sofern sie ausschließlich Dienstleistungen erbringen.

Achtung: Unternehmen, die Produkte in den Verkehr bringen – etwa Hardware oder barrierepflichtige Software – fallen nicht unter diese Ausnahme und müssen auch als Kleinstunternehmen die Anforderungen erfüllen (§ 1 Abs. 2 BFSG).

 

Geil! Eine Lücke!

Naja, nicht ganz: Die Ausnahmeregelungen dürfen nicht dazu führen, dass der eigentliche Schutzzweck des Gesetzes unterlaufen wird. Sie sind daher eng auszulegen und sollten frühzeitig geprüft werden. Unternehmen sind gut beraten, ihre Ausgangslage sorgfältig zu analysieren und die nötige Dokumentation systematisch aufzubereiten, um im Zweifel vorbereitet zu sein.

Was kommt nun auf Unternehmen zu?

Mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSG) am 28. Juni 2025 ergeben sich für viele Unternehmen konkrete Verpflichtungen. Wer unter das Gesetz fällt, muss sicherstellen, dass seine digitalen Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestaltet, bereitgestellt und nutzbar sind – und das nachprüfbar.
Diese Pflichten kommen auf Unternehmen zu:

 

  • Barrierefreie Gestaltung
    Digitale Inhalte wie Websites, Apps, E-Books oder Buchungsstrecken müssen den Anforderungen der WCAG 2.2 (Level AA) entsprechen – also z. B. kontrastreiche Farben, alternative Texte für Bilder, vollständige Tastaturbedienbarkeit und verständliche Strukturen.
  • Technische Nachweise & Konformitätserklärung
    Unternehmen müssen dokumentieren, dass ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestaltet wurden. Das kann z. B. über Prüfberichte, Tests oder Zertifizierungen erfolgen. Eine öffentliche Konformitätserklärung ist in vielen Fällen verpflichtend und muss Nutzer:innen zugänglich gemacht werden.
  • Meldesysteme & Feedbackmöglichkeiten
    Für digitale Dienstleistungen ist es verpflichtend, eine barrierefreie Feedback-Möglichkeit anzubieten. Nutzer:innen müssen Barrieren melden oder Unterstützung anfordern können – etwa per Formular, E-Mail oder barrierefreier Hotline.
  • Beachtung der Marktüberwachung
    Die Einhaltung wird durch zuständige Marktüberwachungsbehörden kontrolliert. Verstöße können zu Verwaltungsverfahren, Bußgeldern oder Vertriebsverboten führen. Auch Beschwerden von Nutzer:innen können Auslöser für Prüfungen sein.
  • Kontinuierliche Anpassung
    Barrierefreiheit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess. Unternehmen müssen ihre digitalen Angebote regelmäßig prüfen und bei technischen oder inhaltlichen Änderungen erneut evaluieren.